Spiritualität, Axiologie, Bibliodrama

Themenheft der Fachzeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 1, Wiesbaden: Springer Verlag (2014)

Im psychologisch- psychotherapeutischen Fachdiskurs werden die Rollenbereiche „Spiritualität“und „Religiosität“ heute vorwiegend mehrdimensional verstanden, das heißt, dass diese in pluralistischen Gesellschaften zunehmend in ihrer Differenz erfahrbar werden.
Spiritualität und Religiosität lässt sich nicht (mehr) global definieren, sondern es ist notwendig, sich im jeweiligen psychotherapeutischen Diskurs der enormen Vielfalt von Ausprägungen und einer differenzierten Betrachtung vieler Merkmale zu stellen.
Im Themenheft wrid versucht, diese herausfordernden Vielfalt annähernd darzustellen. In den Arbeiten, die zum Abdruck in diesem Heft ausgewählt wurden, stehen schwerpunktmäßig die historischen Einflüsse auf die psychodramatische Axiologie, sowie die Auseinandersetzung mit Wertefragen und spirituellen Erlebnisqualitäten in verschiedenen psychodramatischen Praxisfeldern im Vordergrund. Die Welt des Bibliodramas wird thematisiert und einige Schlaglichter werden auf die neueren Entwicklungen in der psychologisch-psychotherapeutischen Forschung geworfen.


Christoph Hutters Artikel lädt zu einer informativen Zeitreise ein, die zu Morenos frühen Lebensjahren führt. Wir erfahren, welche religiösen und spirituellen Einflüsse sowie philosophischen Strömungen Morenos Lebensgestaltung und sein Werk prägten. In Gegenüberstellungen mit bedeutenden Denkern dieser Epoche wird deutlich, dass sich Moreno dem Zeitgeist nicht beugte, sondern sich der immer stärker werdenden Säkularisierung der Gesellschaft entgegenstellte und für eine neue „Theorie Gottes“ eintrat. Dies ist der erste Teil einer Auseinandersetzung Hutters mit dem axiologischen Verständnis Morenos. Der zweite Teil „Spiritualität und Religiosität im Werk Morenos“, wird im Sonderband „Moreno revisited“ zu lesen sein.
Teodóra Tomcsányi und ihr Team haben in einer umfangreichen qualitativen Studie unter Einsatz der Grounded Theorie, die Umgangsweisen von ungarischen PsychotherapeutInnen mit spirituellen Inhalten in der therapeutischen Praxis untersucht. Für diesen Artikel wurde ein Fokus auf die Frage gerichtet, inwieweit durch den handlungsorientierten Ansatz des Psychodramas Besonderheiten bezüglich der Bearbeitung und Entfaltung spiritueller Themen zu eruieren sind.
Andrea Nindler gestattet Einblick in ihre psychodramatische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die von Todesfällen in ihrem Umfeld und Trauer betroffen sind. Sie stellt die von ihr entwickelte Care Box, die gezielte psychodramatische Arrangements enthält, vor, die im Rahmen von Trauerbegleitungen in Schulen zum Einsatz kommt. In einem Fallbeispiel lässt sie an einer berührenden Akutintervention teilhaben.
Karoline Hochreiters Vignette stellt die axiologische Dimension einer Szene in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. In ihrem ABC beschreibt sie Möglichkeiten von spirituellen Erfahrungsqualitäten, die als Resultat von Integration auf allen Rollenebenen gesehen werden können. Ein besonderes Anliegen ist ihr die Abgrenzung einer psychodramatherapeutischen Umgangsweise mit spirituellen Inhalten zu esoterischen Praktiken.
Klaus-Werner Stangiers Beitrag widmet sich den spiritualitätserweiternden Prozessen im bibliodramatischen Tun. Anhand der Unterscheidung zwischen heilsamen und rücksichtslosen Spiritualitäten entwickelt er diese Prozesse in Anlehnung an das biblische Modell des Exodus und der biblischen Metapher der Wiedergeburt. Im Wechselspiel dazu stellt Stangier das Begegnungsverständnis Morenos, das in seiner mystischen Qualität erscheint, sobald ein freies Spiel auf den „Bühnen des Lebens“ möglich wird.
Die Bedeutung der Spiritualität in der aktuellen Sinn- und Wertediskussion im wirtschaftlichen Kontext beleuchtet der Artikel von Lisa Tomaschek-Habrina. Auf dem Hintergrund der kosmodynamischen Überlegungen Morenos entwickelt die Autorin eine psychodramatische Handlungsmatrix, die sowohl für den interprofessionellen ethischen Diskurs als auch für die verschiedensten Gestaltungsbereiche unternehmerischen Handelns verwendbar ist.
Im Interview mit dem Theologen und Psychotherapeuten Helmut Haselbacher werden die Herausforderungen thematisiert, die sich aus dem veränderten gesellschaftlichen Stellenwert von Religion und Religionsgemeinschaften und dem verstärkten Streben mancher Personen nach spirituellen Erfahrungen für das Berufsfeld von PsychotherapeutInnen ergeben. Dabei kreiert Haselbacher einen eigenen, „dem Leben gerechten“ Gottesbegriff.
Der Religionspsychologe Anton Bucher präsentiert in seinem Beitrag einen Überblick über die aktuelle, speziell empirisch fundierte Psychologie der Spiritualität, die in den letzten Jahren enorm an Renommee gewonnen hat. Bucher legt Ergebnisse seiner jüngsten Studien und einige grundlegende Definitionen von Spiritualität dar, die für psychotherapeutisches Handeln helfen können, sowohl eine prinzipielle Offenheit zu wahren als auch Handlungsoptionen zu gewährleisten. Abgeschlossen wird der Beitrag mit einem Plädoyer für mehr Spiritualität in der Psychotherapie.

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